Gran Canaria bis Mindelo

So, nun war es soweit. Die nächstgrößere Etappe wartete auf uns. 825 sm (gut 1.500 km) bis Mindelo auf den Kap Verden. Die Windvorhersage war gut und es sollte eigentlich eine entspannte Überfahrt von ca. 6 Tagen werden. Aber weit gefehlt.

Na gut, so weit gefehlt war es jetzt auch nicht. Denn die ersten zwei Tage waren wirklich relativ entspannt. Als wir am Morgen des 05. Januar die Leinen losgeworfen hatten, warteten zunächst perfekte Bedingungen auf uns. Gute 15 kn Halbwind hat AVALON in 8 – 8,5 kn Speed umgesetzt. Die Wellen waren im Schutz von Gran Canaria zunächst auch sehr moderat. Man könnte sagen: Traumsegeln!

Nach so bummelig  3 – 4 Stunden änderten sich dann allerdings die Bedingungen. Zunächst wurden die Wellen größer und als nächstes drehte der Wind immer mehr in die vorhergesagte Richtung. Nämlich von hinten. Und er nahm auf gut 20 – 25 kn zu.  Wir waren aus dem Schatten von Gran Canaria raus.  Nun waren wir mehr oder weniger „Platt vorm Laken“. Viele Segler fahren „Platt vorm Laken“ mit der Genua. Wir nicht. Und zwar deshalb, weil die Genua – wenn sie nicht ausgebaumt ist – sehr unruhig ist. Das offene Groß dagegen, steht, wie ein Brett. Also haben wir die Genua eingerollt, das Groß weit geöffnet und einen Bullenstander gesetzt.

Für die Nichtsegler: Ein Bullenstander (und fragt mich bitte nicht, wer diesen Begriff erfunden hat) dient dazu, dass das Groß nicht unkontrolliert von einer Seite auf die andere schlagen kann. Denn, wenn man den Wind genau von hinten hat, steht der Großbaum weit auf einer Seite vom Mast. Dieses Segeln ist steuertechnisch sehr anspruchsvoll. Denn was auf keinen Fall passieren darf, ist eine s.g. Patenthalse. Das bedeutet, dass, weil man falsch steuert, der Wind auf einmal von der anderen Seite in das Groß fällt. Denn dann kommt das Groß mit Schwung auf die andere Seite geschlagen. Das ist nicht nur besonders „materialmordend“ (jeder, der schon mal eine Patenthalse gefahren ist – und das sind alle Segler – weiß, wie heftig der Einschlag ist), sondern auch Todesursache Nummer 1 beim Segeln. Denn der Baum schlägt mit so einer Gewalt auf die andere Seite, dass jeder Kopf, der ihm in die Quere kommt, … na ja, könnt Ihr Euch denken. Der Bullenstander ist nichts anderes, als eine Leine, die am Ende des Großbaums angebracht, zum Bug des Schiffes geführt, dort umgelegt (z.B. über eine Klampe) und wieder zurück zum Cockpit geführt und dort befestigt wird. Er verhindert bei einem Steuerfehler, dass der Baum auf die andere Seite schlagen kann. Wenn man dann eine Patenthalse fährt, passiert eigentlich nicht viel mehr, als dass der Wind von der falschen Seite ins Großsegel fällt. Dann ändert man wieder den Kurs und alles ist wieder gut. Es kann aber auch anders kommen. Und es kam irgendwann anders. Dazu später mehr…

Also gut, wir hatten uns für Groß und Bullenstander entschieden.  Und das lief auch super. Obwohl die Bedingungen sich ständig änderten. Es gab Zeiten, da hatten wir richtig große Wellen. Und dann wieder Zeiten, die waren total zahm. Es gab eine Nacht – und die werde ich nie vergessen – wo wir so gut, wie keine Wellen hatten (oder sehr langgezogene), da hätte man mir das Grinsen aus dem Gesicht schlagen müssen, weil es so schön war. Ich hatte die Schicht bis Mitternacht, Jaron und Birte waren in der Koje, der Mond schien, die Sterne funkelten am Nachthimmel,  ich saß auf der Salonbank und AVALON pflügte mit 8 kn durch das Atlantikwasser. Ich war total glücklich. Und geflasht. Eigentlich war meine Schicht um Mitternacht zu Ende und Birte hätte übernehmen sollen. Aber ich war noch gar nicht so richtig müde und es war, wie gesagt, so schön, dass ich einfach noch zwei Stunden das Nachtsegeln genossen habe, bevor ich Birte geweckt habe.

Am 3. Tag jedoch wurde es langsam ungemütlich. Denn die Wellen wurden nicht nur immer größer (so große Wellen – bis zu 5 Metern – passten auch gar nicht zu dem aktuellen Wind), sondern sie kamen auf einmal auch aus unterschiedlichen Richtungen. Nicht mehr nur von hinten, sondern teilweise aus drei Richtungen. Aber auch hier gab es keine Konstanz. Mal war es ein paar Stunden chaotisch, mal war es wieder total ruhig. Ruhig war es meistens nachts. Warum auch immer? Aber von Stunde zu Stunde wurden die Wellen höher. Es kamen teilweise „Berge“ von Wasser von hinten auf uns zugerollt, wo wir teilweise dachten: „Oha, die steigt bei uns ein!“ (Einsteigen bedeutet, dass sich eine große Welle bricht und in das Cockpit „einsteigt“, also es überflutet.) Ist aber nie passiert. Denn AVALON hat einfach ihren „Arsch“ angehoben und die Dinger sind unter uns durchgelaufen. Und an dieser Stelle muss ich auch wirklich mal „Gustaf“ Respekt zollen. Gustaf ist ja unser Autopilot. Und der hat so unglaublich gute Arbeit geleistet. Obwohl Gustaf schon 20 Jahre alt ist (und somit von der Technik her völlig veraltet), hat er es geschafft, diese riesigen Wellen immer wieder perfekt auszusteuern.

Am 4.Tag allerdings – und da können wir Gustaf überhaupt keinen Vorwurf machen, weil das hätten selbst wir nicht aussteuern können, so unverhofft und heftig, wie es kam – hat uns ein ca. 4 – 5 Meter hoher Querschläger getroffen. Wo auch immer das Ding her kam. Muss so eine Art Freakwave gewesen sein. Dieser Querschläger hat AVALON so dermaßen versetzt, dass wir eine Patenthalse gefahren sind.  Was ja, weil wir den besagten Bullenstander gesetzt hatten, auch kein Problem hätte sein sollen. Und nun komme ich zu dem „weit gefehlt“. Denn es waren so gewaltige Kräfte im Spiel – der Wind war mittlerweile auf gut 30 kn angestiegen -, dass sich unser Bullenstander gedacht hat: „Leute, das wird mir hier zu bunt. Ich reiße jetzt mal durch!“ Hat er auch gemacht. Aber bevor er gerissen ist, hat er sich noch an einer Relingstütze abgestützt und diese um ca. 20 Grad verbogen. Und dann erst ist er durchgerissen. Danach ist der Baum mit unglaublicher Wucht auf die andere Seite geschlagen, hat noch eine Stange von unserem Bimini verbogen und als Gustaf wieder ausgesteuert hatte, das ganze nochmal  zur anderen Seite. Dadurch ist das Groß so heftig in die Lazyjacks (Leinen, die das Lazybag – wo das Großsegel reinfällt, wenn wir es bergen) – geschlagen, dass zum einen das Bag zerissen ist und zum andern der Bügel, an dem die Umlenkrolle für die Lazyjacks befestigt ist, aus der Saling (eine am Mast befestigte Stütze) herausgerissen wurde. Das war nun mal gar nicht lustig. Aber gut, es war „nur“ Materialschaden. Uns allen ist nichts passiert.

Nach 5 Tagen und 9 Stunden sind wir dann in die Bucht von Mindelo auf der Kapverdeninsel St. Vincente eingelaufen. Den letzten Tag konnten wir sogar noch mit dem Oxley Segeln, weil der Wind abgenommen hatte. Begrüßt wurden wir von Jan und Thorsten von der MAKAMAE, die zwei Tage vor uns angekommen waren. Es war schon stockdunkel, als wir ankamen. Und in der Bucht von Mindelo liegen diverse Wracks. Aber Jan hat uns auf dem AIS verfolgt und uns den Weg geleitet. Nachdem der Anker gefallen war, kamen die beiden mit dem Dinghi zu uns und wir haben noch so das eine oder andere Ankommensgetränk vernichtet.

Am nächsten Tag, nachdem wir uns alle erstmal ausgiebig ausgeschlafen hatten, sind wir zum Einchecken zur Immigration-Behörde gegangen.  Auch neu für uns. Denn nun waren wir nicht mehr in der EU. Das lief aber unkompliziert und problemlos. Nach 30 Minuten war alles erledigt und wir hatten den kapverdischen Stempel im Reisepass.

Danach haben wir uns dann aber erstmal ein schönes, kaltes Bier in der Floating-Bar gegönnt. Wie der Name schon sagt, schwimmt diese Bar und ist auch gleichzeitig Anlegestelle für die Dinghis. Das s.g. Dinghi-Dock. Dort gibt es auch sehr gutes Essen. Besonders die Tuna-Frikadellen sind der Hit. Wer also jemals in Mindelo ist, ein absolutes MUSS. Später, auf dem Atlantik sollte ich mich noch ärgern, dass ich nicht 50 Stück mitgenommen habe.

Nun hieß es, einen Segelmacher zu finden, der unser Lazybag repariert und einen Niro-Schlosser, der unsere verbogene Bimini-Stange wieder richtet. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, dass das in dieser Region nicht einfach werden würde. Aber auch hier weit gefehlt. Denn in Mindelo gibt es auch alle Gewerke, die man benötigt. Beide Reparaturen haben nur 24 Stunden gedauert.

Als das alles erledigt war, konnten wir uns auch nun endlich der Gegend widmen. Was wohl sehr schön sein sollte, ist die Nachbarinsel Santo Antao. Aber auch Mindelo hat einiges zu bieten. Besonders die Märkte, die es quasi jeden Tag gibt. Ob nun Gemüse, Fisch oder auch Schnick-Schnack. Aber es ist schon ein deutlicher Kontrast zu den europäischen Ländern. Hier ist alles einfacher und die Menschen deutlich ärmer. Von der angeblich hohen Kriminalität, von der oft gesprochen wird, haben wir überhaupt nichts gemerkt. Wir haben uns zu keiner Zeit unwohl oder bedroht gefühlt. Allerdings sollte man auch ein paar einfache Regeln berücksichtigen. Immer alles anschließen und vor allem nicht nachts sturzbesoffen durch Kneipen oder Strassen ziehen. Das könnte dann tatsächlich ungut ausgehen. Wir haben da von einem aktuellen Fall erfahren. Aber selbst schuld halt…

Jan hatte, als die MAKAMAE in Mindelo angekommen war, einen Dealer für SIM-Karten aufgetan. Und dessen Bruder – oder war es der Neffe? – bietet u.a. Touren zur Nachbarinsel Santo Antao an. Den haben wir dann auch gebucht und sind eines frühen Morgens mit der Fähre rübergefahren. Auf Santo Antao wartete dann schon ein Van auf uns und wir haben uns auf den Weg über die Insel gemacht.

Die Südküste ist eher karg, aber je weiter man ind den Bergen nach oben und je weiter man auf die Nordseite der Insel kommt, umso grüner und schöner wird es. Was uns aber als erstes aufgefallen war, war der Straßenbelag. Obwohl „Belag“ das falsche Wort ist. Denn die Straßen sin aus Kopfsteinpflaster. Ca. 6cm x 6 cm. Millionen und Abermillionen dieser Steine sind dort verbaut worden. Mussten aber vorher noch alle von Hand geklöppelt werden. Strafarbeit halt.

Als erstes fuhren wir zum Vulkankrater und hatten Glück, dass an diesem Tag (noch) keine Wolken da waren. Berauschende Aussichten haben sich dort aufgetan. Die Gruppen, die nach uns kamen hatten nicht so viel Glück. Denn just in dem Moment, als wir weiterfahren wollten, zog alles zu. Also machten wir uns auf den Weg zur Nordküste. Es wurde immer grüner und man sah auch immer mehr Landwirtschaft. Hauptsächlich Zuckerrohr wird hier angebaut, um daraus Rum zu machen.  Auf der Nordseite angekommen haben wir einen kleinen Fischerort besucht und den Fischern beim Bearbeiten ihres Fangs zugesehen. Besonders Wahoo wird dort gefangen. Ein ca. ein Meter langer, sehr schmackhafter  Fisch. Und in diesem Ort haben wir auch zu Mittag gegessen. In einem Restaurant direkt an der Küste und mit einem fantastischen Blick auf den Atlantik. Auf der Rücktour zum Hafen haben wir dann noch eine Rumdestillerie besucht, wo noch traditionell Rum gebrannt wird. Gegen 1700 waren wir wieder zurück in Mindelo. Ein toller und rundum gelungener Tag.

Es deutete sich an, dass sich zwei Tage später nun endlich der Passat ausbilden sollte und wir somit die Atlantiküberquerung angehen könnten. So haben wir es dann auch geplant. Allerdings wollten wir noch eine Nacht an der Westküste von Santo Antao ankern und von dort aus los. Gesagt, getan! So sind wir am 16. Januar in Mindelo ankerauf gegangen und drei Stunden später fiel er wieder vor dem niedlichen Dorf Taraffel. Hier wird noch ganz traditionell gefischt. Ein Fischer mit Taucherbrille sucht die Schwärme, leitet das Boot und dann wird ein Netz vom Boot aus kreisförmig um den Schwarm gezogen. Wir haben das eine zeitlang beobachtet. Sehr effektiv war es allerdings nicht.

Am nächsten Morgen haben wir noch klarschiff gemacht, alles aufgeräumt, noch Wasser gemacht und sind 1,5 Stunden nach der MAKAMAE auf Westkurs gegangen. Gute 2.100 sm lagen nun vor uns. Wie das so war, erfahrt Ihr im nächsten Bericht…

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